Seit 2022 leitet Dr. Rupert Grill das Dekanat Haag.
Im Interview mit Elisabeth Seirlehner und Marie-Thérèse Hartig spricht der Dechant und Pfarrer des Pfarrverbands Enns-Donau-Winkel über seine Berufung, Nachwuchs- und Personalprobleme in der Kirche.
Redaktion: Wann hast du gewusst, dass du dein Leben der Kirche weihen willst?
Dr. Rupert Grill: Meine Schulkarriere hat nicht sehr rühmlich angefangen, nach der Volksschule hätt‘ mich niemand ins Gymnasium geschickt. Ich hab‘ sogar einmal als abschreckendes Beispiel mein Volksschulzeugnis bei der Schulschlussmesse in Zeillern vorlesen lassen, weil ich mitgekriegt hab‘, dass unter den Eltern der Notendruck so extrem hoch angesetzt ist. Naja und in meinem Zeugnis war halt nur in Religion ein Einser, sonst eher lauter Dreier. Dann hab‘ ich gesagt. „Natürlich ist das kein Zeugnis von euch, das ist meins aus der dritten Volksschulklass‘. Wisst’s eh: Wann’s Kind ned lauter Einser hat – Pfarrer kann’s immer noch werden!“ (lacht) Und im Nachsatz: „Zeugnisse sagen nicht alles darüber aus, was aus einem Menschen mal wird.“
Warst Du von klein auf kirchlich sozialisiert?
Ja, ich war Ministrant in Konradsheim, und unter den Kindheitsberufswünschen war Pfarrer auch dabei. Aber spätestens, wie die Menscha von bled zu fesch g’wechselt san, also so mit 13, 14, da war das Thema gegessen. Nach der Hauptschul‘, in der HTL Waidhofen, war meine kirchliche Verbindung die KJ und Jugendvesper in Seitenstetten. Das ist etwas, was mich vom kindlichen Beten und Glauben zum erwachsenen Beten ganz wesentlich geprägt hat. Der nächste Schritt ist dann während eines HTL-Praktikums bei Forster gekommen. Zwei Wochen hab‘ ich ziemlich allein im Freien gearbeitet, bei schönstem Wetter, und da ist diese Idee „Solltest du nicht Priester werden?“ wieder aufgetaucht. Und die hat sich dann nimmer abschütteln lassen.
Die Einschränkungen, zum Beispiel das zölibatäre Leben, haben Dich nicht zögern lassen?
Wenn jemand sagt, das lässt ihn nicht zögern, dann würde ich ein großes Warnzeichen davor sehen. Natürlich war und ist das zölibatäre Leben auch ein Ringen, aber die größte Herausforderung zur Entscheidung hin war und ist die konkrete Gestalt der Kirche. Will ich mich damit identifizieren lassen? In mein erstes Studienjahr ist das Aufbrechen des Groer-Skandals gefallen. Dieses Thema begleitet mich, und ich glaube, dass das auch in der Kirche völlig unterreflektiert ist, was das für das Priesternachwuchsbild heißt. Ich hab‘ vor 15 Jahren schon gesagt: Junge Erwachsene kennen Kirche und Priesterbild aus der medialen Wahrnehmung nur unter dieser Negativ-Schlagzeile. Nur wenn’s gut geht, haben sie privat andere Beispiele kennengelernt. Es sollte uns nicht wundern, wenn kein Nachwuchs kommt, solange das Bild nicht repariert ist.
Was sollte man Deiner Meinung nach tun, um die Jugend vermehrt anzusprechen?
Zuabilassen! Zutrauen. Spielraum lassen. Ermutigen und Befähigen. Und klar sagen: Das heißt nicht, dass du das jetzt bis zur Pensionierung machen musst. Natürlich, eine gewisse Verlässlichkeit braucht‘s, aber warum soll ich einem Vierzehnjährigen weniger zutrauen, dass er das gut macht? Und es ist doch super, wenn eine Dreiundzwanzigjährige eine Ausbildung zur Kommunionhelferin macht! Ein Freund hat mir erzählt, dass sein Pfarrer ihn mit 16 gefragt hat, ob er den Lektor machen würde. Heute sagt er selber, „der Lektorendienst hat mich drübergerettet, dass ich wenigstens alle sechs bis acht Wochen einmal in die Kirchen gekommen bin, sonst wär‘ ich gar nicht mehr gekommen“. Heute ist er der Familienvater, der mit seinen Kindern in die Kirche geht. Da darf man eben nicht zu eng denken, so „der darf nicht lesen, der ist ja nie in der Kirche!“ Der kommt in die Kirche, weil er liest. Das ist ja auch was Wichtiges: dem Wort Gottes Stimme zu verleihen. Und wenn das jemand Ernst nimmt, dann wird es ihn auch berühren und verändern.
Abgesehen von mehr Jugend: Hast Du Wünsche?
Ein größeres Team, um gut arbeiten und leben zu können.
Woran scheitert das? Zu wenig Interessenten, zu wenig attraktiver Job, zu wenig Geld?
Ein Thema ist, dass wir im Grenzland sind. Die Diözese Linz hat für Pastoralassistentinnen bessere Bedingungen, sucht aber auch Personal. Dabei ist das Gehalt nur eine und vielleicht gar nicht die Frage. In der Diözese Linz dürfen sie selbständiger arbeiten. Das würde beispielsweise bedeuten, eure Pfarren haben einen Pastoralassistenten als Hauptverantwortlichen, und ein Priester ist zugeteilt, der dort die Heilige Messe feiert. Wie nimmt die Bevölkerung das auf, wenn statt des Pfarrers ein Pastoralassistent die Leitung innehat und Priester nur noch zu punktuellen Dienstleistungen anrücken? Dieses Modell hat natürlich auch Nachteile. Vor allem in Pfarren, wo man Pastoralassistenten noch gar nie kennengelernt hat, wäre das eine Herausforderung. Viele sehen aber die Orts- und Lebensnähe als große Stärke.
Ist das der Grund, warum es so viele unbesetzte Pastoralassistentenstellen gibt?
Unter anderem. Die Frage, warum so viele Pastoralassistenten ihren Job wieder verlassen oder in eine andere Diözese wechseln, stellt man sich nicht ernsthaft. Ist mein Eindruck. Die Posten gäbe es ja, aber das Personal existiert einfach nicht.
Wie wirkt sich die Gründung von Pfarrverbänden auf die Personalsituation aus?
Letztlich gibt es kein diözesanes Konzept, wie es funktionieren kann. Den diözesanen Entscheidungsträgern fehlt meiner Meinung nach ausreichend eigene Erfahrung in der Leitung und Gestaltung von Pfarrverbänden. Ob man zwei oder vier Pfarren zu leiten hat, das ist mehr als eine Verdoppelung. – Die Diözese Linz geht ja einen anderen Weg: Die macht aus dem Dekanat die neue Pfarre, und aus den früheren Pfarren werden Pfarrteilgemeinden. Warum? Weil kirchenrechtlich eine Pfarre durch einen Priester geleitet werden muss. Wer die kleineren Einheiten darunter leitet, ob. ehrenamtliche oder hauptamtliche Laien oder ein Diakon, das ist offen.
Was hältst du davon?
Jedes Modell hat seine Vor- und Nachteile. Ich würde sagen, die Quadratur des Kreises hat noch niemand erfunden. Wenn du die Einheiten so groß machst, ist wieder die Frage, wie viele Priester hast du, selbst wenn’s eine Leitung im Team ist, die das leiten können? Und es besteht die Gefahr, dass du deine besten Kräfte unter den Priestern ganz viel auf einer abstrakten Ebene hast und sie nimmer zu den Leuten kommen. Die Stärke ist, auf den Ebenen drunter viel zulassen zu können. Darin liegt eine große Freiheit, was sich dort entwickeln kann.
Würdest du dir wünschen, dass das Linzer Modell in St. Pölten übernommen wird?
Könnten wir in der Form vermutlich gar nicht. Weil die Diözese Linz in der Frage, hauptamtlichen und ehrenamtlichen Laien in Pfarren auch Leitung zuzutrauen, die letzten 20, 30 Jahre ganz andere Wege gegangen ist. Das muss wachsen. Uns würden jetzt die Menschen mit Erfahrung fehlen, die sowas auch auf der unteren Ebene mittragen. Die Diözese St. Pölten hat die letzten 30 Jahre immer in einem viel stärker priesterlich-klerikalen Modell gedacht. Dazu hat man noch viel stärker als andere Diözesen auf Priester aus dem Ausland gesetzt. Für 300 von Diözesanpriestern betreute Pfarren haben wir 150 aktive Priester, davon 45 aus Österreich, daher sind die Spielräume sehr, sehr gering, wenn man auf Priester setzt. Man hat sich bis jetzt weltkirchlich nicht darauf eingelassen, die Zulassungsbedingungen zu den Ämtern zu verändern. Meine Überzeugung ist, wenn sich das Amt von oben her nicht verändert, wird sich’s von unten verändern.
Aber ohne die Priester aus dem Ausland wäre die Situation doch noch viel prekärer?
Die ersten, die gekommen sind, waren die Priester aus dem Osten. Vor allem Polen hat lange Zeit sehr viele Priester gehabt. Die sind großteils auf Privatinitiative gekommen. Jetzt versucht das man mit Partnern in Nigeria und im Süden Indiens über die Diözesen zu machen. Im Vorjahr hat man zum ersten Mal einen so genannten Integrationskurs gemacht, wo man sich bewusst damit auseinandergesetzt hat, was heißt dieser Wechsel von einer Kultur in eine andere? Zum Beispiel bei den polnischen Priestern: Die haben oft geklagt, „die Leute kommen nicht zu mir“, und die Gemeinde hat geschimpft, „der Pfarrer geht nicht unter die Leut‘“. Wenn man sich bewusst gemacht hätte, dass polnische Priester im Kommunismus jahrzehntelang nur in der Kirche wirken durften, dann hätte man dieses Missverständnis vermeiden können. Oder um ein anderes Beispiel zu nennen: In Indien sind in vielen Pfarren Nonnen eingesetzt, die ganz eigenständig für die Sakramentenvorbereitung zuständig sind. Sie bilden oft die Kontinuität in den Pfarren, während die Priester oft alle drei Jahr‘ wechseln. In Österreich fühlen sie sich dann nicht für alles zuständig, was von ihnen erwartet wird. Die Auseinandersetzung mit den Unterschieden in den Kirchenkulturen und Rollenbildern würde da viel helfen.
Apropos Rollenbild: Was bereitet dir Freude?
Als Pfarrer oder als Dechant? Der Dechant ist unter Pfarrern der Erste unter Gleichen, ich bin also nicht einfach der Dienstvorgesetzte von den anderen Pfarrern, sondern der Zuständige, dem die Koordination im Dekanat übertragen ist. In meinen fünf Pfarren will ich als Pfarrer angeredet werden, nicht als Dechant. Am Pfarrerdasein schätze ich das sehr, sehr Abwechslungsreiche, der Aufgabenbereich als Pfarrer ist irrsinnig vielfältig. Vom Faden durchs Leben, von den Täuflingen und Kindergartenkindern bis zu den alten Menschen, von Politikern und Wirtschaftstreibenden bis hin zum Obdachlosen, der an die Tür klopft, ein Querschnitt durch die sozialen Schichten. Ganz zentral: das Feiern der Gottesdienste in einer Welt, wo ich schon merke, die Menschen SIND religios berührbar. Es geht halt oft sehr schnell wieder unter, ist mein Eindruck. Wo’s um mehr geht als nur um ein äußerlich schönes Fest, sondern wo die existenzielle Ebene, die nach dem Darüberhinaus fragt – und das ist ja eigentlich der Ursprung von Religion – sehr wohl da ist.
Man hat den Eindruck, dass Du auch Freude daran hast, Dinge zu hinterfragen.
(lacht) Ja, das ist halt auch notwendig. Vielleicht will mich der Heilige Geist ja in der „Oppositionsrolle“. Nicht falsch verstehen: Nicht wie in der Politik! Aber jede Gemeinschaft braucht auch kritische Mitdenker, die Entscheidungen infrage stellen und Alternativen aufzeigen. In einer synodalen Kirche, wie sie Papst Franziskus will, sollten sie jedenfalls Platz haben. Ich singe mit sehr großer Freude und Begeisterung vom Lied „Fest soll mein Taufbund immer stehen“ die letzte Zeile „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad‘ in seine Kirch berufen hat, nie will ich von ihr weichen.“ Also, so einfach werdet’s ihr mich nicht los – weder als aktives Glied noch als kritischen Geist! Und ich bin fest davon überzeugt, dass die von Papst Franziskus geforderte Synodalität als gemeinsamer Weg verschiedener Geister unumgänglich ist für die Zukunft der Kirche.